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Beitrag vom 25.11.2016
Zahlen, Daten und Fakten zu häuslicher Gewalt gegen Frauen - Internationaler Aktionstag gegen Gewalt an Frauen. Istanbul-Konvention endlich europaweit rechtsverbindlich machen und umsetzen
AVIVA-Redaktion
Statements von Dilek Kolat, Bürgermeisterin und Senatorin für Arbeit, Integration und Frauen, Mona Küppers, Vorsitzende des Deutschen Frauenrats, Maja Wegener, Fachbereichsleiterin von TERRE DES FEMMES, Dagmar Freudenberg, Vorsitzende der djb-Kommission Strafrecht und djb-Präsidentin Ramona Pisal
Dilek Kolat zum internationalen Aktionstag gegen Gewalt an Frauen: "Hilfesystem für gewaltbetroffene Frauen wird ausgebaut."
Anlässlich des Internationalen Aktionstags zur Beseitigung jeder Form von Gewalt gegen Frauen hisste die Bürgermeisterin und Senatorin für Arbeit, Integration und Frauen Dilek Kolat am 25. November um 9 Uhr gemeinsam mit dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller und der Bundestagsabgeordneten Eva Högl die Fahne der Frauenrechtsorganisation "Terre des Femmes" vor dem Kurt-Schumacher-Haus in der Müllerstraße, Berlin-Wedding.
Dazu erklärt Dilek Kolat: "Das Motto auf der Fahne von Terre des Femmes lautet: Frei leben – ohne Gewalt. Leider ist das auch in Berlin immer noch keine Selbstverständlichkeit. Fast 14.500 Frauen wurden im vergangenen Jahr Opfer häuslicher Gewalt in Berlin, und das sind nur die polizeilich registrierten Fälle. Berlin hat viel erreicht im Kampf gegen Gewalt an Frauen. Aber er bleibt eine Daueraufgabe. Wir werden die bestehenden Schutz- und Hilfeangebote weiter aus-bauen und den Erfordernissen anpassen. Dazu gehört auch, dass wir den Bedürfnissen wohnungssuchender gewaltbetroffener Frauen und von Frauen mit Behinderungen noch stärker Rechnung tragen und zusätzliche Schutzplätze für geflüchtete Frauen vorhalten."
Jedes Jahr findet am 25. November der von den Vereinten Nationen deklarierte Internationale Tag zur Beseitigung jeder Form von Gewalt gegen Frauen statt. Anlass ist die Verschleppung, Vergewaltigung und Ermordung dreier Frauen von Soldaten des damaligen Diktators Trujillo in der Dominikanischen Republik im Jahr 1960. Seit dem 25. November 1981 wird an diesem Tag weltweit zur Beendigung von Gewalt gegen Frauen und Kinder aufgerufen.
Die wichtigsten Zahlen, Daten und Fakten zu häuslicher Gewalt gegen Frauen:
In Berlin wurden im vergangenen Jahr 14.490 Fälle häuslicher Gewalt bei der Polizei registriert. 923 Frauen mit 919 Kindern haben Schutz und Hilfe in den sechs Berliner Frauenhäusern in Anspruch genommen. Deren Auslastung sank leicht – von 91,75 % auf 89,02 %. Die Zahlen von 2016 sind noch nicht abschließend ausgewertet.
Im Jahr 2015 hat der Senat die Hilfeangebote mit 6,8 Mio. € und im Jahr 2016 mit 7,5 Mio. € finanziert. Diese Angebote werden dem Bedarf entsprechend weiter entwickelt und aus-gebaut. Der Mittelansatz für den Ausbau des Hilfesystem wurde mit Beginn des Doppelhaushalts 2016/2017 um jeweils 600.000 € erhöht.
Ebenfalls 2015 begann mit dem Projekt "NeuRaum" der Aufbau von Zweite-Stufe-Wohnungen für Frauen, die sich schon länger in Frauenhäusern aufhalten und nicht mehr akut gefährdet sind. Die Wohnungen entlasten die Frauenhäuser deutlich. Aktuell stehen 44 Plätze in 22 Wohnungen zur Verfügung. Entsprechend viele Plätze werden in Frauenhäusern frei.
Auch die verstärkten Aktivitäten zur Wohnraumvermittlung zeigen Wirkung. Zwischen Januar und Oktober 2016 wurden 310 Wohnungen für gewaltbetroffene Frauen akquiriert und 129 vermittelt.
Es gibt sechs Frauenhäuser mit insgesamt 326 Plätzen und 40 Zufluchtswohnungen, dazu 5 Interventions- und Fachberatungsstellen sowie die rund um die Uhr besetzte BIG-HOTLINE und die Anlaufstelle, die betroffene Frauen nachts und an Sonntag- und Feiertagen zur Verfügung steht. Bei Frauenhäusern steht Berlin im Ländervergleich nach einem Bericht der Bundesregierung an zweiter Stelle hinter Schleswig-Holstein. Die Platzkostenpauschale beträgt in Berlin derzeit 9.080 €, ab 2017 9.290 €. In Schleswig-Holstein sind es 10.800 €. Berlin hat 2,57 Plätze pro 10.000 Frauen. Nur in Bremen sind es mehr (3,63 Plätze/10.000 Einwohnerinnen).
Zwei Gemeinschaftsunterkünfte bieten insgesamt rund 450 Plätze für geflüchtete Frauen und ihre Kinder. Außerdem gibt es 15 geschützte Wohnungen für geflüchtete Frauen. Für das Jahr 2017 ist die Schaffung weiterer Schutzangebote vorgesehen. Die Verträge für den Betrieb von Flüchtlingsunterkünften wurden so überarbeitet, dass sie genderspezifische und gewaltpräventive Aspekte berücksichtigen. Konkret geht es hier zum Beispiel um Anforderungen an Räumlichkeiten und Personal, Gewaltschutzkonzepte oder Beschwerdemanagement.
Gemeinsam mit Anti-Gewalt-Projekten, Heimleitungen, dem Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten, Polizei und Staatsanwaltschaft wird ein Handlungsleitfaden für Mitarbeitende in Unterkünften erarbeitet, damit in Notfällen professionell und schnell gehandelt werden kann.
Die geflüchteten Frauen werden in ihren jeweiligen Sprachen über ihre Rechte und über Unterstützungsangebote informiert.
Noch immer viele Frauen Opfer von Gewalt - Juristinnenbund zum Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen
Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) begrüßt zum Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen die jüngste, umfassende Reform des Sexualstrafrechts. Sie steht für einen deutlich besseren Schutz des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung.
Mit der Verankerung des Grundsatzes "Nein heißt Nein" hat der Gesetzgeber sexuelle Handlungen gegen den erkennbaren Willen einer Person unter Strafe gestellt. "Für diesen Paradigmenwechsel haben wir seit Jahrzehnten gekämpft", erläutert Dagmar Freudenberg, Vorsitzende der djb-Kommission Strafrecht. Mit der Reform wurde zugleich ein neuer Straftatbestand in das Strafgesetzbuch eingefügt, der die tätliche sexuelle Belästigung unter Strafe stellt. Das verharmlosend sogenannte Grapschen, also das Kneifen in Po oder Brust ohne verbale Beleidigung, ist jetzt mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bedroht, wenn Betroffene einen Strafantrag stellen.
Für den djb war die Gesetzesänderung längst fällig: "Die Reform beruht auf einem breiten gesellschaftlichen Konsens für ein modernes Sexualstrafrecht ohne überkommene Rollenbilder und Klischees. Das hat die öffentliche Diskussion nach den Übergriffen in Köln zum Jahreswechsel deutlich gezeigt.", betont djb-Präsidentin Ramona Pisal.
Auch mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes gegen Nachstellungen unternimmt die Bundesregierung die richtigen Schritte, um Gewalt gegen Frauen wirksamer zu begegnen.
Dennoch: Die zu verzeichnenden Erfolge und Veränderungen bieten keinen Grund, sich zurückzulehnen. Dieser Tage erleben auch geflüchtete Frauen Gewalt, sind auf der Flucht und in Unterkünften sexuellen Übergriffen ausgesetzt. Weibliche Genitalverstümmelung ist ebenfalls ein Thema in Deutschland. Nach wie vor sind Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt in Deutschland an der Tagesordnung, wie die tägliche Berichterstattung in den Medien und die aktuell veröffentlichte Statistik des Bundeskriminalamtes belegt (www.bka.de).
Der djb fordert, gegen diese Gewalttaten vorzugehen und die Schutzmöglichkeiten für betroffene Frauen weiter auszubauen.
Deutscher Frauenrat anlässlich des Internationalen Tags gegen Gewalt an Frauen am 25. November 2016:
Istanbul-Konvention endlich europaweit rechtsverbindlich machen und umsetzen
Der Deutsche Frauenrat unterstützt den Aufruf der "European Coalition to end Violence against Women and Girls" an die EU-Mitgliedsstaaten und den Europäischen Rat, die so genannte Istanbul-Konvention im kommenden Jahr endlich zu zeichnen und zu ratifizieren.
"Mit der Istanbul-Konvention haben die europäischen Staaten zwar ein starkes Instrument geschaffen, um die vielfältigen Formen geschlechtsspezifischer Gewalt an Frauen zu begegnen und zu bekämpfen. Es muss aber auch zum Einsatz kommen. Jede dritte Frau in Europa hat seit ihrem 15. Lebensjahr bereits körperliche und/oder sexuelle Gewalt erlitten. Zahlreiche Frauen sterben jede Woche in Europa an den Folgen von Partnergewalt. Diese wenigen Fakten aus europäischen Studien sind nur die Spitze des Eisbergs geschlechtsspezifischer Gewalt in unseren Gesellschaften. Und dies ist unerträglich", so Mona Küppers, Vorsitzende des Deutschen Frauenrats.
Die Istanbul-Konvention wurde 2011 von allen 47 Mitgliedstaaten des Europarats als regionale Konvention zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt verabschiedet. Sie ist das erste spezifische, rechtsverbindliche europäische Abkommen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und definiert eine Reihe von Minimalstandards zur Verhinderung, Bekämpfung und Verfolgung verschiedener Formen von Gewalt, zum Schutz der Betroffenen sowie zu einer umfassenden politischen Vorgehensweise. Die Unterzeichnerstaaten verpflichten sich, Opfer solcher Gewalt zu schützen und zu unterstützen. Sie müssen auch gewährleisten, dass Betroffene Zugang zu Hotlines, Notunterkünften, medizinischer Versorgung, Beratung und Rechtshilfe haben. Die Konvention verlangt auch einen Überwachungsmechanismus, um eine effektive Umsetzung ihrer Bestimmungen durch die Parteien zu gewährleisten. Am 14. August 2014 trat die Istanbul-Konvention zwar in Kraft. Sie wurde bislang aber nicht von allen Mitgliedsstaaten des Europarats unterzeichnet. Mehr als der Hälfte, 24 Länder, haben sie bis heute noch nicht ratifizieret – auch Deutschland nicht!
"Die Bundesregierung darf die Ratifizierung des Abkommens nicht länger hinauszögern. Mit der jüngsten Reform des Sexualstrafrechts zugunsten eines "Nein heißt Nein" ist jetzt endlich eine zentrale Voraussetzungen gegeben. Wir fordern die Bundesregierung daher auf, sich nun voll zur Istanbul-Konvention zu bekennen und damit auch ein gutes Beispiel für die anderen 13 EU-Mitgliedsländer zu geben, die ebenfalls noch nicht ratifiziert haben," so die Vorsitzende des Deutschen Frauenrats Mona Küppers weiter.
Die European Coalition to end Violence against Women and Girls setzt darauf, dass eine Ratifizierung der Istanbul-Konvention durch die EU den Druck auf diejenigen Mitgliedsstaaten erhöht, die bislang das Abkommen noch nicht ratifiziert haben.
Dramatische Szenen vor dem Brandenburger Tor:
TERRE DES FEMMES fordert mit Aktion "Tür auf!" mehr Schutz für von Gewalt betroffenen Frauen
Frauen, die an Türen anklopfen, verzweifelt um Einlass bitten und um das letzte freie Bett in Frauenhäusern anstehen, dieses Bild bot sich PassantInnen heute vor dem Brandenburger Tor. Mit ihrer Aktion "Tür auf!" unterstrich die Frauenrechtsorganisation TERRE DES FEMMES zum Internationalen Gedenktag "NEIN zu Gewalt an Frauen" ihre Forderung nach mehr Schutzräumen für von Gewalt betroffene Frauen. Fast täglich wird neusten Erhebungen des Bundeskriminalamtes zufolge in Deutschland eine Frau Opfer von Mord oder Totschlag in Partnerschaften. "Wir brauchen genügend Zufluchtsorte sowie eine einheitliche und flächendeckende Finanzierung von Frauenhäusern", fordert Maja Wegener, Fachbereichsleiterin von TERRE DES FEMMES.
Hier ist die Politik gefragt. "Deutschland muss seiner menschenrechtlichen Verpflichtung, Frauen vor Gewalt zu schützen, besser nachkommen", sagt Wegener. Bundesweit ist jede vierte Frau von häuslicher Gewalt betroffen. Möchte sie aus dieser Situation fliehen, wird sie oft vor der Tür abgewiesen. Allein 2011 waren es 9.000 Frauen. Grund: In knapp 400 Frauenhäusern und Zufluchtswohnungen stehen nur 6.800 Plätzen für von Gewalt betroffene Frauen und deren Kinder zur Verfügung. Dieser untragbare Zustand muss ein Ende haben. Jede schutzsuchende Frau muss unabhängig von Alter, Herkunft, Behinderung, psychischen Problemen oder Sprachkenntnis in Deutschland einen Ort der Zuflucht finden, fordert TERRE DES FEMMES.
2011 beschloss der Europarat die Istanbul-Konvention – eine Übereinkunft, die sich gegen Gewalt an Frauen richtet. Laut der Konvention hat sich Deutschland verpflichtet, Frauenhäuser flächendeckend auf alle Regionen zu verteilen: Pro 10.000 EinwohnnerInnen sollte Platz für eine Familie sein. "In Deutschland trifft das jedoch längst nicht zu", erklärt Wegener. Gerade im Osten der Republik und in ländlichen Regionen haben Frauen, die vor häuslicher Gewalt fliehen, große Schwierigkeiten einen Zufluchtsort zu finden.
Mit der Aktion "Tür auf!" erinnert TERRE DES FEMMES die Regierung an ihre menschenrechtliche Verpflichtung gegenüber schutzbedürftigen Frauen.
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Quellen/Copyrights: Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen, Deutscher Juristinnenbund e.V., TERRE DES FEMMES, Deutscher Frauenrat, AVIVA-Berlin